19
September
2022

Zukunft Schiene – Technologien für den Bahnverkehr von morgen

Das DLR gibt auf der Bahnmesse InnoTrans vom 20. bis 23. September 2022 einen Einblick in aktuelle Themen, Projekte und Ergebnisse seiner Schienenverkehrsforschung

Ein hochmoderner, bezahlbarer, klima- und umweltfreundlicher Bahnverkehr spielt eine zentrale Rolle bei der Verkehrswende. Nur ein attraktives Angebot bringt mehr Menschen und Güter auf die Schiene. Um das zu ermöglichen, forscht das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) an den infrastrukturellen und bahnbetrieblichen Rahmenbedingungen, arbeitet an neuen, kapazitätssteigernden Konzepten für Fahrzeuge, Betrieb und Infrastruktur sowie an innovativen Methoden für Instandhaltung und Wartung. Strategien für den automatisierten Bahnverkehr gehören ebenfalls zu den Schwerpunkten wie Arbeiten zur zukünftigen Rolle von Fahrdienstleitenden und Zugführenden bei der Steuerung und Überwachung des Schienenverkehrs. Einen Einblick in aktuelle Arbeiten, Projekte und Ergebnisse vermittelt das DLR auf der Bahnmesse InnoTrans vom 20. bis 23. September 2022 in Berlin (Halle 2.2, Stand 460).

Credit: © DLR. Alle Rechte vorbehalten
Eisenbahntechnische Versuchslabor RailSiTe®. Credit: © DLR. Alle Rechte vorbehalten

„Die Relevanz des Systems Schiene wird momentan wieder so deutlich wie lange nicht mehr. Das 9-Euro-Ticket hat wie ein Brennglas sowohl für das Potenzial als auch für die Herausforderungen im Personenverkehr gewirkt. Die niedrigen Pegelstände der Flüsse haben die Binnenschifffahrt eingeschränkt und auch hier gezeigt, dass die Kapazitäten der Bahn nicht vernachlässigt werden dürfen. Das DLR forscht am gesamten System Bahn, um neben Komfort, Sicherheit, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit natürlich auch die Kapazitäten der Bahn zu erhöhen. Durch Transfer aus der Forschung auf die Schiene“, sagt Prof. Dr.-Ing. Karsten Lemmer, Mitglied des DLR-Vorstands und verantwortlich für Innovation, Transfer und wissenschaftliche Infrastrukturen.

Das DLR ist mit seiner Schienenverkehrsforschung die größte institutionell geförderte Forschungseinrichtung in Europa. Insgesamt tragen 13 DLR-Institute zur Forschung, Entwicklung und zum Transfer von Innovationen für den Verkehrsträger Schiene bei. Als Gründungsmitglied der Horizon Europe Partnerschaft EU-Rail arbeitet das DLR gemeinsam mit den europäischen Bahnbetreibern und der Industrie daran, das Bahnsystems weiterzuentwickeln.

Premiere auf der InnoTrans 2022: Hightech-Fahrwerk für den Zug der Zukunft

Das Fahrwerk eines Zuges spielt eine wichtige Rolle für einen schnellen, zuverlässigen, sicheren und komfortablen Bahnverkehr. Deshalb arbeitet das DLR im Rahmen des Leitkonzepts Next Generation Train (NGT) an einem neuartigen, zukunftsweisenden Fahrwerksdesign: Es verzichtet auf durchgehende Radachsen, jedes Rad wird separat angetrieben und intelligent gesteuert.

Die Vorteile dieses Ansatzes: Züge könnten so in Zukunft effizienter und leiser unterwegs sein, Rad und Schiene dabei weniger verschleißen. Die Struktur und die eingesetzten Materialien sind bei diesem Hightech-Fahrwerk sowohl bei den tragenden Komponenten als auch in den Antriebsmotoren so optimiert, dass sie möglichst leicht sind. Weniger Gewicht senkt den Energieverbrauch und ermöglicht mehr Zuladung. Auch bei der Konstruktion und Gestaltung des Wageninnenraums entstehen neue Freiheitsgrade, weil die räumlichen Einschränkungen durch Radachsen entfallen.

In der Simulation und bei Experimenten mit einem Modell des NGT-Fahrwerks im Maßstab eins zu fünf hat sich das Konzept bereits als vielversprechend erwiesen. Deshalb haben die DLR-Forschenden nun in einem nächsten Schritt ein Funktionsmodell sowie einen Prüfstand im Originalmaßstab aufgebaut. Mit Hilfe dieser Forschungsinfrastruktur namens NGT FuN soll die Technologie in den nächsten Jahren weiterentwickelt und demonstriert werden. Fahrwerk und Forschungsinfrastruktur stellt das DLR erstmals auf der InnoTrans vor.

Stabil und schnell unterwegs – auch bei Seitenwind

Mit der Seitenwindversuchsanlage verfügt das DLR in Göttingen über eine weltweit einmalige Forschungsinfrastruktur, um die Auswirkungen von Seitenwinden und Böen auf fahrende Züge zu untersuchen. Wie diese Anlage und speziell der Böen-Generator genau funktionieren, zeigt das DLR auf der InnoTrans mit einem Exponat im Modellmaßstab. Mit dieser Großanlage kann die Aerodynamik von Schienenfahrzeugen weiter verbessert und so der sichere und gleichzeitig energieeffiziente Betrieb gewährleistet werden. Denn auch im Bereich der Bahn werden die Fahrzeuge durch innovative Leichtbaukonzepte und neuartige Materialien immer leichter. Das stellt neue Herausforderungen an die Aerodynamik und Stabilität dieser Fahrzeuge.

Alte Technik neu gedacht: Slip Coaching und virtuelles Kuppeln

Bei virtuell gekuppelten Zugverbänden existiert keine mechanische Verbindung mehr zwischen den einzelnen Triebzug-Einheiten. Eine betrieblich-technische Innovation des DLR-Leitkonzepts Next Generation Train (NGT) ist das dynamische Flügeln. Bei dieser Funktion ist es möglich, Züge virtuell zu kuppeln und dabei Zugverbände während der Fahrt zu stärken oder zu schwächen. Das ermöglicht auch ein neuartiges Betriebskonzept, dessen Vorbild das historische „Slip Coaching“ ist. Beim zukünftigen Slip Coaching-Verfahren verkehren mehrere Zugteile virtuell gekuppelt zwischen Knotenbahnhöfen. An Zwischenstationen halten nur einzelne Zugteile, während der Hauptzug mit voller Geschwindigkeit durchfahren kann. Dieses neue Konzept könnte dazu beitragen, auf existierender Infrastruktur ein verbessertes Angebot mit höherer Taktfrequenz, verringerten Reisezeiten sowie zusätzlichen Direktverbindungen umzusetzen. Um diese Vorteile aufzuzeigen, haben die Forschenden einen interaktiven Online-Demonstrator konstruiert, den die InnoTrans-Besuchenden am Stand des DLR ausprobieren können.

Bahn digital: Teleoperation von Zügen, Sensordaten für effizientere Instandhaltung und dynamische Sitzplatzreservierung

Im Bereich der Digitalisierung des Bahnbetriebs gibt das DLR auf der InnoTrans 2022 einen Einblick in die Forschungsarbeiten zu fahrerlosen Zügen. In Zukunft könnten „Remote-Train-Operators“ Züge von einer Leitstelle aus überwachen, bei Störungen eingreifen oder fernsteuern, wenn der hochautomatisiert fahrende Zug nicht mehr weiterkommt.

Grundvoraussetzung für den Einsatz solcher Systeme im Schienenverkehr ist die absolute Zuverlässigkeit. Diese kann nur durch eine unabhängige Überprüfung gewährleistet werden. Im Eisenbahnlabor RailSiTe® erforscht das DLR seit rund zehn Jahren neue Konzepte und Verfahren, um komplexe Sicherungssysteme für den Schienenverkehr schneller in Betrieb zu nehmen. Regelmäßig zeigen Meldungen von Verzögerungen im Betriebsablauf durch Störungen an der Signaltechnik oder bei der Einführung des Sicherungssystems "European Train Control System" (ETCS) die Relevanz dieses Themas und den Bedarf an neuen Testverfahren. Die lange Erfahrung des DLR sorgt zum Beispiel dafür, dass aufwendige Überprüfungen, für die früher ein Jahr eingeplant werden musste, in zwei Monaten abgeschlossen sein können.

Weitere Exponate zeigen Demonstratoren, Projekte und Ergebnisse zum Testen digitaler Sicherungstechnik und zur eingebetteten Zustandsüberwachung der Gleisinfrastruktur. Mit digitalen Testsystemen können Systeme heute schon bei Herstellern effizient geprüft und für den Einsatz qualifiziert werden. Mit Sensoren in der Infrastruktur und auf Zügen könnten Informationen über den Zustand von Weichen, Stellwerken und Schienen schnell und zuverlässig gewonnen werden. Das DLR arbeitet in diesem Zusammenhang auch an Verfahren des maschinellen Lernens und der künstlichen Intelligenz, um diese Informationen möglichst effizient auszuwerten. Zudem entwickelt es Diagnosemodelle, mit denen die Verantwortlichen für Anlagen und Infrastruktur bei ihren Entscheidungen zu Wartungs- und Reparaturarbeiten unterstützt werden.

Unter dem Stichwort „dynamische Sitzplatz-Reservierung“ präsentiert das DLR einen neuen Lösungsansatz, wie Zugfahrende unnötige Wege durch die Wagen vermeiden könnten: nämlich indem sie ihre Sitzplatzreservierung in Echtzeit ändern, sobald sie ein freien und noch nicht reservierten Platz ausfindig gemacht haben. So ließen sich die Passagierströme in den Wagen begrenzen, die Einstiegszeiten deutlich verkürzen und das Reiseerlebnis verbessern.

Technologie-Upgrade für Güterwagenkonzept

Auf dem Freigelände Süd der InnoTrans (Stand T04/17) zeigt das DLR Forschungsarbeiten für einen modernen zukünftigen Güterzugwagen – und damit Hardware im Originalmaßstab. Der Prototyp ist im Rahmen des Projekts FR8RAIL IV der europäischen Bahninitiative Shift2Rail gemeinsam mit europäischen Projektteilnehmenden aus Forschung und Industrie entstanden. Er verfügt über zwei Radachsen, hat kein Drehgestell, ist höhenverstellbar und lässt sich digital automatisch kuppeln. Für die Konstruktion kam eine spezielle Stahl-Leichtbauweise zum Einsatz. Die Struktur des Wagens ist topologieoptimiert. Das bedeutet, Materialeinsatz und Materialverteilung folgen vorgegebenen Lasten und Randbedingungen und ermöglichen so eine besonders leichte Struktur mit einem Gesamtgewicht unter zehn Tonnen Designmasse des Wagens. Dies entspricht einer Gewichtseinsparung von über 15 Prozent im Vergleich zu bestehenden Güterwagen mit gleicher Funktionalität. Zusätzlich ist der Prototyp mit einem Onboard-System für die Zustandsüberwachung ausgerüstet. Es misst kontinuierlich den Zustand der beiden Radachsen und des Gleisbetts. Diese Daten können in Zukunft zur zustandsbasierten und vorausschauenden Instandhaltung beitragen. Für eine bessere Aerodynamik ist der Güterwagen mit einer Verkleidung aus Glasfaserverbundwerkstoffen versehen. Für Design und Auslegung dieser aerodynamischen Verkleidung hat das DLR mit dem ebenfalls ausgestellten FR8Lab-Container – einem rollenden Labor – Versuche im Windkanal absolviert sowie Tests auf speziellen Streckenabschnitten.

DLR bei der InnoTrans Speakers' Corner

Im Rahmen der Vortragsreihe Speakers' Corner berichtet DLR-Forscher Holger Dittus über das EU-Projekt FCH2RAIL. Die Projektbeteiligten entwickeln und testen eine neuartige Energiequelle für Zuganwendungen: das Fuel Cell Hybrid PowerPack. Es kombiniert die elektrische Energieversorgung aus der Oberleitung mit dem emissionsfreien Hybrid-PowerPack aus Brennstoffzellen und Batterien. Leistung und Reichweite können nach einem Baukastenprinzip skaliert werden: Die Anzahl der Brennstoffzellen und Batterien beeinflusst die Antriebsleistung. Die Kapazität der Wasserstofftanks definiert die Reichweite auf nicht elektrifizierten Strecken. Seit mehr als 18 Monaten haben die FCH2RAIL-Beteiligten intensiv an der Entwicklung des Fuel Cell Hybrid PowerPack gearbeitet. Nun ist es an der Zeit, über die jüngsten Highlights bei der Erprobung des innovativen Powerpacks und des Demonstratorzuges zu berichten.

Der Vortrag "FCH2Rail Einblicke: Demonstration des Brennstoffzellen-Hybrid Power Packs" findet statt am 22. September 2022 von 13.30 bis 14.30 Uhr in Halle 7.2A. Über die Website der InnoTrans kann der Vortrag zudem per Livestream verfolgt werden.

 

 

 

 



 

 

 

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