18
April
2024

Verbessertes Verständnis von Erdbebenrisiken

Forschende des KIT zeigen, dass die Vorstellung vom starken Einzelbeben an Subduktionszonen überholt sein könnte

Wenn sich eine Erdplatte unter eine andere schiebt, kommt es oft zu starken Erdbeben. An einer solchen Subduktionszone ereignete sich auch das schwere Erdbeben Anfang April 2024 vor Taiwan. Dass es sich bei Beben dieser Art nicht um einen Einzelbruch, sondern um eine Bruchserie in einem Verwerfungsnetzwerk handeln könnte, legt eine aktuelle Studie von Forschenden des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und Partnern nahe. Entsprechende Belege fand das Team mit einem besonders dichten Netz aus Seismometern an einer vergleichbaren Subduktionszone in Ecuador, für die sie mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) ein dreidimensionales Modell seismischer Aktivität erstellten. Die Forschenden berichten in der Fachzeitschrift Nature (DOI: 10.1038/s41586-024-07245-y).

© Amadeus Bramsiepe
Professor Andreas Rietbrock und Dr. Caroline Chalumeau vom Geophysikalischen Institut des KIT diskutieren über seismische Aktivität an Subduktionszonen. © Amadeus Bramsiepe

Überall dort, wo Erdplatten aufeinandertreffen, entstehen Spannungen – besonders entlang von Subduktionszonen, wo sich eine Erdplatte unter eine andere schiebt. Lösen sie sich, kann es zu extrem starken Erdbeben kommen. Besonders betroffen ist der sogenannte Pazifische Feuerring, der sich hufeisenförmig von der Westküste des amerikanischen Kontinents über Japan bis zu den Philippinen erstreckt. Dort ereignen sich rund 90 Prozent der weltweiten Erdbeben und viele Megastädte wie Tokio oder Jakarta sind bedroht. Um die Auswirkungen dieser Beben auf Mensch und Umwelt besser abschätzen zu können, haben Forschende des KIT gemeinsam mit ihren Partnern vom GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ), der Escuela Politécnica Nacional (EPN) in Quito sowie dem Laboratoire Géoazur in Valbonne nun die seismische Aktivität am Beispiel einer Subduktionszone in Ecuador besonders detailliert untersucht – mit für sie überraschenden Ergebnissen: „Wir haben Hinweise darauf gefunden, dass die bisherige Vorstellung, die Spannung löse sich bei einem einzigen starken Beben entlang einer einzelnen Bruchfläche, der Vergangenheit angehören könnte“, sagt Professor Andreas Rietbrock vom Geophysikalischen Institut (GPI) des KIT. „Stattdessen sollten wir eher von einem Verwerfungsnetzwerk sprechen, in dem sich eine Serie von Brüchen innerhalb eines einzelnen Erdbebens entlädt.“

Es gibt nicht die eine Megaverwerfung

Während bisherige Untersuchungen eine große räumliche und zeitliche Abdeckung aufwiesen, konnten die Forschenden in der aktuellen Studie mithilfe von KI-Methoden und einer höheren Messdichte sowie auf Basis eines dreidimensionalen Geschwindigkeitsmodells ein detailliertes Bild der Seismizität bestimmen. Das Team untersuchte mehr als 1 500 seismische Ereignisse in Ecuador zwischen dem 12. März 2022 und dem 26. Mai 2022. „Wir haben beobachtet, dass die Seismizität bei Erdbeben in einer primären Region – quasi dem Hauptbeben – und in einer sekundären Region, also den Nachbeben, auftrat“, sagt Dr. Caroline Chalumeau vom GPI, die Erstautorin der Studie. „Innerhalb der primären Region konnten wir beobachten, dass die Seismizität auf mehreren verschiedenen, oft übereinander liegenden Verwerfungsebenen auftrat. An einigen Stellen traten parallele seismisch aktive Ebenen auf, an anderen Stellen nur einzelne.“ Die Parallelität der Beben sei dabei nicht an eine spezifische Tiefe gebunden.

Die Analyse der ecuadorianischen Beben lieferte auch neue Erkenntnisse über Nachbeben. „Wir haben festgestellt, dass die Nachbeben zuerst in der Nähe des Epizentrums des Hauptbebens auftreten und sich dann allmählich in andere Richtungen ausbreiten“, sagt Chalumeau und folgert daraus, dass die Ausbreitung von Nachbeben in der Region hauptsächlich durch Nachrutschen der Platten gesteuert werde.

© Caroline Chalumeau, KIT
Abgebildet sind die zwei Erdplatten. Die Beben werden als Kugeln dargestellt. Die Größe zeigt die Stärke, die Farbe den Zeitpunkt des Bebens. (© Caroline Chalumeau, KIT)

Erdbebenrisiken besser verstehen

„Wir müssen unser Verständnis von starken Erdbeben grundlegend ändern“, fasst Rietbrock zusammen. Die Ergebnisse der Analyse der ecuadorianischen Erdbebenaktivität zeigten, dass es in Subduktionszonen nicht nur eine Hauptverwerfung gebe, sondern ein Netzwerk aus von teilweise überlagerten und parallel verlaufenden Verwerfungen. „Diese Erkenntnis wird die zukünftige Modellierung von Erdbeben, aber auch von aseismischen Rutschungen, also den Plattenbewegungen ohne Erdbeben, beeinflussen“, so Rietbrock. Durch eine bessere Modellierung der Beben könne vermutlich auch die Vorhersage der Risiken verbessert werden.

Originalpublikation

Dr. Caroline Chalumeau, Dr. Hans Argurto-Detzel, Prof. Andreas Rietbrock, Dr. Michael Frietsch, Prof. Onno Oncken, Dr. Monica Segovia, Dr. Audrey Galve: Seismological evidence for a multifault network at the subduction interface. Nature, 2024. DOI: 10.1038/s41586-024-07245-y

Details zum Geophysikalischen Institut (GPI)

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